While the role of materiality was understudied in most social sciences, there was a sensibility for these issues in political ecology. The different approaches of political ecology focused on the political character of ecology and the ecological (and thus material) character of politics. But a conceptual framework that captures the different dimensions of the societal nature relations was seldom explicitly elaborated. Following the considerations of Michel Foucault, this article explores whether dispositive analysis as a concept and as a method offers a way to integrate both social and material conditions into studies of political ecology. By examining water infrastructure and the dispositive of drought in Northeastern Brazil, this paper displays how dispositive analysis is a means to identify different elements, their autonomies as well as their interconnectedness. Focusing on the entanglements of discourses, institutionalizations, subjectivity, practices and materiality allows capturing the materiality of discourses and the discursivity of material orders.
Mit den unter dem Schlagwort „
Durch eine Rückbesinnung auf das Materielle als konstitutives Element sozialer Wirklichkeit bei einer expliziten Berücksichtigung der gegenseitigen Bedingungsverhältnisse zwischen Sozialem und Materiellem besteht jedoch die Möglichkeit, Gegenstände, Körper, gebaute Umwelt usw. in die Analysen zu integrieren, ohne erneut in Essentialisierungen und Dichotomisierungen zu verfallen. Indem dabei die Eigenständigkeit von sozialen und materiellen Prozessen betont und gleichzeitig auf ihre unausweichliche gegenseitige Durchdringung bestanden wird, kann über eine additive Aufzählung verschiedener Dimensionen der Wirklichkeitskonstitution hinaus gegangen werden.
Gerade in der politischen Ökologie, die aus einer Kritik an einer einseitigen und unpolitischen Bearbeitung von sogenannten Umweltproblemen entstanden ist, besteht eine lange Tradition, die gegenseitigen Wechselverhältnisse zwischen ökologischen und sozialen Prozessen aus ganz unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Positionen in den Blick zu nehmen (Robbins, 2004:7 f.). Eine der Stärken der politischen Ökologie besteht dabei unzweifelhaft darin, konzeptionelle Ansätze mit konkreten empirischen Studien zu verknüpfen. Nachdem zunächst eher marxistische Ansätze innerhalb der politischen Ökologie überwogen, fanden seit den 1980er Jahren verschiedene, mit dem Präfix „post“ markierte Ansätze (poststrukturalistische, postmarxistische, postkoloniale) Einzug in die Debatte (Escobar, 2010:91). Somit rückten diskursanalytische Methoden und Fragen nach der Produktion von Wissen und die Konstitution von Bedeutung über Natur und Materialität mehr und mehr in den Vordergrund. Weniger Beachtung fand bisher jedoch das Konzept einer Dispositivanalyse, das vor allem auf Überlegungen von Michel Foucault zurück zu führen ist (Foucault, 1978). Hierbei werden nicht sprachliche Äußerungsmodalitäten auf der einen und materielle Ordnungen auf der anderen Seite untersucht. Vielmehr geht es um die machtstrategischen Verbindungen zwischen Diskursen, Institutionalisierungen, Subjektpositionen, Praktiken und Materialisierungen (Bührmann und Schneider, 2008). Im Fokus stehen folglich Fragen nach dem gegenseitigen Hervorbringen von diskursiven und materiellen Formationen und nach den Auswirkungen ihres Zusammenwirkens.
Ziel dieses Beitrags ist es, das Konzept des Dispositivs und die Methodik der Dispositivanalyse als Zugang zu erarbeiten und damit das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur analytisch zu fassen. Als empirisches Beispiel dienen dabei die Herstellung von und der Umgang mit Dürreverhältnissen im Nordosten Brasiliens. Insbesondere wird dabei auf das Verhältnis zwischen Materialität und Diskursivität am Beispiel der Wasserinfrastruktureinrichtungen – Staudämme, Kanäle, Pumpen etc. – eingegangen. An ihnen kann aufgezeigt werden, wie materielle Ensembles und Diskurse sowie institutionelle Arrangements sich gegenseitig hervorbringen und zusammen diskursive und nicht-diskursive Praktiken strukturieren. So wird in ihnen sowohl die Materialität des Diskurses als auch die Diskursivität des Materiellen deutlich. Über ein solches Dispositiv werden bestimmte Prozesse und Entwicklungen erzeugt, die jedoch nicht auf einzelne Elemente sondern nur auf ihr Zusammenspiel zurückzuführen sind. Darüber hinaus kann ein Verständnis der Eigenständigkeit von Natur und der Bruch mit einer rein konstruktivistischen Sichtweise herausgearbeitet werden. Gerade dann, wenn Naturaneignung scheitert, wenn eine einfache Übertragung von Diskursen und Ideen auf materielle Gegebenheiten ungeahnte Ergebnisse zeitigt, wenn Stauseen austrocknen oder Wasser verschmutzt wird, wird der eigenständige Charakter von Materialität sichtbar.
Zunächst soll jedoch in einer kurzen Skizze aufgezeigt werden, wie Materialität innerhalb der politischen Ökologie – insbesondere auch in Bezug auf Wasser und Wasserinfrastruktur – verhandelt wird, und welche Herausforderungen sich daraus für eine konzeptionelle Weiterentwicklung ergeben. Dabei wird jedoch vor allem auf Ansätze aus dem anglo-amerikanischen Raum verwiesen, sodass Debatten insbesondere aus den Ländern des Globalen Südens und außerakademische Diskussionen unbenannt bleiben. Ihre Einbeziehung stellt eine Herausforderung für zukünftige Auseinandersetzungen und Forschungsprojekte dar.
Gemeinsamer Ausgangspunkt der frühen Arbeiten, die sich auf den Begriff der politischen Ökologie beziehen, war die Kritik an der ontologischen Trennung zwischen Materialität (Natur) und Gesellschaft (Kultur) seit der europäischen Aufklärung (Castree, 2001:6). Gleichzeitig grenzte man sich von einem naturdeterministischen und (neo)malthusianischen Verständnis natürlicher Grenzen und der Vorstellung von Materialität als „Ausdruck bestimmter Zwangsgesetzlichkeiten“ (Wissen, 2011:108) ab. Demgegenüber gehen die Ansätze der politischen Ökologie von der Annahme aus, dass Natur keine externe, objektive Einheit, sondern ein Produkt sozialer und folglich auch politischer Prozesse darstellt (Budds, 2004:32). Ökologische Prozesse, wie etwa Bodenerosion und Desertifikation, werden dabei als inhärenter Bestandteil von polit-ökonomischen und historischen Prozessen verstanden (Blaikie und Brookfield, 1987).
Viele Arbeiten der ersten Generation der politischen Ökologie der 1970er
und 1980er Jahre sind von einer historisch-materialistischen Tradition
geprägt (Köhler, 2008:852). Dabei bilden der Begriff des
Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur als „ewige[n]
Naturbedingung des menschlichen Lebens“ (Marx, 1968:198) und der Begriff
von Arbeit als Prozess der Aneignung und Transformation von Natur zentrale
Kategorien zur Analyse und Beschreibung des Mensch-Natur-Verhältnisses.
Aus ökomarxistischer Perspektive stellt die Materialität von Natur
daher einen der grundlegenden Widersprüche der kapitalistischen
Produktionsweise dar. Da die Verwertungslogik des Kapitals mit der
Reproduktionslogik von Natur nicht übereinstimmt „produziert der Kapitalismus Natur
Wichtig ist hierbei der Begriff der (kapitalistischen) Produktion von Natur, den vor allem Smith (1984) stark gemacht hat. Dabei wird Natur in Anlehnung an Marx als stofflich-materielles und zugleich historisch-gesellschaftliches Produkt verstanden, das über spezifische Praktiken hergestellt wird. Jedoch werden durch den Fokus auf die Prozesse der sozialen Produktion von Natur die Eigengesetzlichkeiten materieller Bedingungen vernachlässigt: „The production of nature thesis tries to solve this historically by ‚internalizing nature‘ as a social product but […] ends up squeezing out any productive or generative role for ecology or biophysical processes“ (Bakker und Bridge, 2006:9).
Demgegenüber macht Harvey (2007) ein dialektisches Verständnis der Mensch-Natur-Beziehungen stark. In Anlehnung an das von Alfred North Whitehead formulierte Prinzip des „being is constituted by becoming“ (Whitehead in Harvey, 2007:54) betont er die gegenseitige Konstituierung von Subjekt und Objekt, von Sozialem und Materiellem, wobei weniger die Analyse von Dingen, (Öko)Systemen oder Strukturen, sondern vielmehr von Prozessen, Strömungen und Beziehungen im Vordergrund stehen (Harvey, 2007:49 f.).
Auch Castree (2001) geht von einer unausweichlichen Verwobenheit
zwischen Sozialem und Materiellem aus. Mit seinem Konzept der sozialen Natur
(
Wichtige Impulse für die konzeptionelle Weiterentwicklung des
Mensch-Natur-Verhältnisses kamen u.a. von der Actor-Network-Theory (ANT)
(Haraway, 1991; Latour, 1998). Dabei wird nicht danach gefragt, wie
Gesellschaft Natur produziert, sondern wie Menschen und Dinge in Netzwerke
eingebunden werden, wodurch neue hybride Formationen entstehen. Eine der
bedeutendsten Neuerungen der ANT stellt die Sichtweise dar, Natur,
Gegenstände, Instrumente etc. nicht als passive Einheiten zu begreifen,
über die gesellschaftliche Verhältnisse vermittelt werden. Vielmehr
wird ihnen über die Einbindung in Netzwerke Handlungsmacht
(
Die Einforderung ontologischer Gleichbehandlung von Materiellem und Symbolischem und die emergente Herausbildung neuer Eigenschaften und Fähigkeiten durch die Verknüpfung von Subjekten, Institutionen, Dingen usw. in sogenannten Gefügen stellen auch für die Assemblage-Theorie in Anlehnung an die Arbeiten von Gilles Deleuze und Felix Guattari zentrale Eckpunkte dar (Mattissek und Wiertz, 2014:160). Da hier jedoch in Abgrenzung zur ANT der Sprache eine besondere Bedeutung zukommt und der Ansatz somit für diskurs- und machttheoretische Überlegungen anschlussfähig wird, sehen Annika Mattisek und Thilo Wiertz darin eine vielversprechenden Chance für die Humangeographie, den Zusammenhang zwischen symbolischen und materiellen Aspekten gesellschaftlicher Wirklichkeit konzeptionell weiter zu denken (ebd.:162).
Gemeinsam ist den unterschiedlichen Ansätzen der politischen Ökologie in erster Linie die Zurückweisung essentialistischer Vorstellungen der „Natur der Dinge“. Natur wird dabei sowohl als stofflich-materiell als auch als sozial-symbolisch begriffen. Ob der Blick jedoch vornehmlich auf die soziale Konstruktion von Natur, die gegenseitige Konstituierung von materiellen und sozialen Prozessen oder auf die Handlungsweisen sozialökologischer Hybride gelegt wird, hat sowohl Auswirkungen auf den Untersuchungsgegenstand als auch auf Forschungsmethoden und mögliche Erkenntnisgewinne. Zentrale Frage bleibt dabei, inwiefern die Eigenständigkeit von Natur ernst genommen wird, ohne in eine erneute Essentialisierung – etwa von physischen und chemischen Prozessen – zu verfallen.
Im deutschsprachigen Raum hat sich mit dem Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, das sich in erster Linie auf die Kritische Theorie Frankfurter Schule bezieht, ein weiterer Strang innerhalb der politischen Ökologie entwickelt. Insbesondere mit dem Begriff der Nicht-Identität von Natur (Görg, 2003b) wird eine konzeptionelle Rahmung vorgeschlagen, die die Unmöglichkeit eines direkten, unvermittelten Zugangs zu Natur anerkennt und gleichzeitig der Natur eine gewisse Autonomie einräumt.
„Der gesellschaftliche Prozess ist weder bloß Gesellschaft noch bloß Natur, sondern Stoffwechsel der Menschen mit dieser, die permanente Vermittlung beider Momente“ (Adorno, 2003:221).
In diesem Zitat von Theodor W. Adorno werden bereits die Grundannahmen des Konzeptes der gesellschaftlichen Naturverhältnisse deutlich: Gesellschaft und Natur stehen in einem permanenten Vermittlungsverhältnis, sodass sie nicht „an sich“ existieren und unabhängig voneinander erkannt werden können. Jedoch führt ein solches Vermittlungsverhältnis nicht zu einer großen Einheit, bei der beide Elemente vollständig ineinander aufgehen. Vielmehr bleiben sie in einem Spannungsverhältnis von Relation und Differenz bestehen und können als „aufeinander bezogene gegensätzliche Pole einer Differenz“ (Jahn und Wehling, 1998:83) begriffen werden. Als gesellschaftliche Naturverhältnisse werden „relativ dauerhafte Beziehungsmuster“ (Becker et al., 2011:89) bezeichnet, die sowohl eine stofflich-materielle als auch eine kulturell-symbolische Dimension aufweisen, wobei eine solche Unterscheidung lediglich analytisch vorgenommen werden kann. Faktisch kann die gegenseitige Durchdringung nicht voneinander getrennt werden (Jahn und Wehling, 1998:84).
Dabei sind die gesellschaftlichen Naturverhältnisse sowohl in kulturelle Deutungszusammenhänge und Wahrnehmungsmuster eingebettet – wie sie etwa in religiösen und ästhetischen Naturbildern oder wissenschaftlichen Erklärungen zum Ausdruck kommen – als auch in bio-physische Prozesse und deren Wirkungszusammenhänge. Damit Natur – oder ein bestimmter Ausschnitt von Natur – eine gesellschaftliche Bedeutung erhält, braucht es immer die Vermittlung über bestimmte Repräsentationen (Wissen, 2011:121; Becker et al., 2011:78). Gleichzeitig können gesellschaftliche Naturverhältnisse nicht abgekoppelt von der Materialität und den stofflich-energetischen Eigenschaften gedacht und hergestellt werden. Die materiellen Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten weisen gegenüber sozialen Prozessen bestimmte Widerständigkeiten auf und entziehen sich dadurch einer vollständigen Verfügbarkeit und Kontrolle (Wissen, 2011:122). Natur kann dabei somit nicht als bloße Trägerin von Bedeutung verstanden werden, sondern ist immer auch Ko-Produzentin der gesellschaftlichen Naturverhältnisse.
Die Unmöglichkeit einer rein sozialen Konstruktion von Natur und eines einseitigen Einschreibens von gesellschaftlichen Verhältnissen in die materiellen Bedingungen verweist auf die Eigenständigkeit von Natur. Mit dem Begriff der Nicht-Identität von Natur bezeichnet Görg (2003a) in Anlehnung an Theodor W. Adorno etwas, das nicht benannt werden kann, das über die identitäre Zuschreibung von Natur hinausgeht. Die Nicht-Identität ist quasi die Lücke zwischen der Benennung der Dinge und den Dingen selbst. Somit ist die Nicht-Identität nicht als eine positiv bestimmbare Objektivität oder als ontologischer Kern von Natur zu verstehen, „der sich bestimmen ließe, wenn man den gesellschaftlichen Einfluss gleichsam ‚abzieht‘“ (Wissen, 2011:122). Vielmehr wird von einer Eigengesetzlichkeit von Natur ausgegangen, ohne dass diese positiv und a priori bestimmt werden kann. Diese erschließt sich erst dann, wenn gewisse Formen der Naturaneignung mit der Eigenlogik von Natur in Widerspruch geraten, wenn also die Benennung und Aneignung von Natur scheitern (Görg, 2005:234).
Demzufolge liegt der Fokus des Konzeptes auf den Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und Naturverhältnissen. Im Gegensatz etwa zur ANT wird jedoch explizit danach gefragt, wie Macht- und Herrschaftsverhältnisse an Naturverhältnisse gekoppelt sind und über diese produziert und reproduziert werden. Macht wird dabei nicht allein als „ability of an actor to control their own interaction with the environment and the interaction of the other actors with the environment“ (Bryant und Bailey, 1997:37) verstanden. Vielmehr kommen Machtverhältnisse in den vielfältigen Beziehungen zwischen sozialen und materiellen Verhältnissen zum Tragen. Insofern wird danach gefragt, wie sich Macht- und Herrschaftsverhältnisse manifestieren, in die Natur einschreiben und darüber verstetigt werden. Gleichzeitig geht es um die Prozesse und Mechanismen, über die bestimmte materielle Bedingungen Diskurse und gesellschaftliche Praktiken vorstrukturieren und folglich zu einem Medium sozialer Herrschaft werden (Görg, 2003b:201; Köhler und Wissen, 2010:223). Darüber hinaus wird in Anlehnung an die Kritische Theorie das Verhältnis zwischen Natur, Gesellschaft und Subjekt ausgelotet. Insbesondere Theodor W. Adorno und Max Horkheimer haben auf das enge Verhältnis zwischen der Herrschaft des Menschen über die Natur, über andere Menschen und der Verinnerlichung von Herrschaftsverhältnissen im Subjekt hingewiesen (Adorno, 1950:125; Horkheimer, 1967:94).
Ganz besonders prominent wird das wechselseitige Verhältnis zwischen
materieller Natur und nicht-materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen
innerhalb der politischen Ökologie am Beispiel der Wasserthematik
verhandelt. Insbesondere Linton (2010) hat mit seinem Buch
„What is Water?“ die Diskussionen über das ontologische
Verständnis von Wasser vorangetrieben. Dabei zeigt er auf, wie das
hegemoniale, essentialistische Konzept des „modernen
Wassers“ (
Jedoch wird Wasser nicht allein über soziale Praktiken hergestellt.
Vielmehr sind neben den Prozessen der Bedeutungszuschreibungen,
Repräsentationsmechanismen und Machtbeziehungen auch Kräfte wie
Klima, Jahreszeiten, Luftdruck, Geomorphologie und zahllose andere
nicht-menschliche Lebewesen in die Ko-Konstitution des Wassers involviert
(ebd.:34). Wichtig dabei ist, dass die Repräsentationen von Wasser nicht
als soziale Konstruktionen den physikalischen Eigenschaften des Wassers als
Gemeinsam mit Bakker (2002), Budds (2008) oder Kaika (2005) versteht Jamie Linton den globalen Wasserkreislauf nicht als gegebene
Tatsache der materiellen Welt, die wissenschaftlich beschrieben werden kann,
sondern als Konzept, in dem die physikalischen Eigenschaften des Wassers,
die hydrologischen Besonderheiten der Orte, an denen das Konzept entstanden
ist, die hegemonialen Vorstellungen von Natur, der Forschungsstand der
Hydrologie und die vorherrschende Nutzungsart des Wassers verinnerlicht sind
(Linton, 2010:35; Bouleau, 2014:249). Dabei verändern sich im Laufe der
Zeit die Vorstellungen über den Wasserkreislauf in Abhängigkeit von
den kulturellen, sozialen und geographischen Verhältnissen. Diese
Veränderungen sind jedoch nicht beliebig, sondern werden
notwendigerweise von den bio-physischen Eigenschaften des Wassers
(Schwerkraft, Veränderung der Aggregatszustände etc.) beschränkt
(Linton, 2010:35). Der Wasserkreislauf wird daher als hydrosozialer
Kreislauf verstanden, durch den Wasser über interne
sozio-ökologische Prozesse ständig als Hybrid aus materiellen und
diskursiven Elementen hergestellt wird, wodurch neue vergesellschaftete
Naturen (
Den Begriff der
Die besondere Rolle von materiellen Infrastrukturen wird vor allem auch in
der urbanen politischen Ökologie diskutiert. Dabei wird ihr
Verhältnis zu Ressource-, Wasser- und Energieflüssen, sowie ihre
Einbettung in kulturelle und polit-ökonomische Prozesse thematisiert.
Zentraler Bezugspunkt ist dabei die Metapher eines urbanen Stoffwechsels
(
In dieser Sichtweise sind Infrastruktureinrichtungen wie die Wasserinfrastruktur sozioökologische Systeme, durch die Natur genutzt und gleichzeitig verwandelt wird. In Anlehnung an die ANT können Wassernetzwerke als aktive Akteure der Raumproduktion verstanden werden (Gandy, 2004:374), durch die Natur, sowohl in Form von intendierten Ergebnissen (Trinkwasserversorgung) als auch in Form von unintendierten Folgen (Verunreinigungen, Flächenverbrauch, Lecks usw.) neu hergestellt wird (Monstadt, 2009:1933). Gleichzeitig nehmen sie dabei immer auch eine aktive Rolle bei der Produktion von urbanem Leben und urbaner Kultur ein (Gandy, 2004:374).
In diesem komplexen Geflecht von Mensch-Natur-Beziehungen spielen neben Diskursen, Materialität und Infrastruktureinrichtungen auch gesetzliche Bestimmungen, wasserbezogene Praktiken und die Herausbildung von Subjektpositionen eine wichtige Rolle. Erst im Zusammenspiel der unterschiedlichen Dimensionen werden spezifische gesellschaftliche Naturverhältnisse hervorgebracht und transformiert. Gegenüber den bereits beschriebenen Konzepten soll in diesem Aufsatz der Beitrag einer Dispositivanalyse für das Verständnis der Mehrdimensionalität gesellschaftlicher Naturverhältnisse, ihre diskursive und materielle Ordnung und deren wechselseitigen Bedingungsverhältnisse herausgearbeitet werden.
Ähnlich wie der Begriff des Diskurses ist auch der Begriff des Dispositives in der französischen Sprache ein fest verankerter Ausdruck. Darunter kann eine bestimmte Konstellation von Maßnahmen und Objekten verstanden werden, die zu einem spezifischen Zweck miteinander in Verbindung stehen und dabei jedoch nur als Ganzes funktionieren. Angelehnt ist die Dispositivanalyse insbesondere an die Überlegungen von Michel Foucault, der ein Dispositiv als „ein entschieden heterogenes Ensemble“ definiert, „das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann“ (Foucault, 1978:119–120).
Beispielsweise könnte eine Alarmanlage mitsamt ihrer technischen Vorrichtungen (Sensoren, Kabel, Apparaturen), dem in ihr vorhandenen technischen Wissen, den eingeschriebenen Handlungsweisen (An- und Ausschalten mit Hilfe eines Geheimcodes), den rechtlichen Rahmenbedingungen usw. als Dispositiv beschrieben werden (Keller, 2007:50; Bührmann und Schneider, 2008:51–52). Demzufolge werden Dispositive oftmals als „materielle und ideelle Infrastruktur“ (Keller, 2008:235) bezeichnet, über die Diskurse stabilisiert werden. Eine solche Infrastruktur-Metapher birgt jedoch die Gefahr der Verkürzung in sich. Ein Dispositiv ist nicht als ein Nebeneinander einzelner Elemente und eine Dispositivanalyse nicht als bloße Bestandsaufnahme der beteiligten Einheiten zu verstehen. Vielmehr ist das Dispositiv das Netz, das zwischen ihnen geknüpft werden kann, das Dazwischen, die Verbindungen, die den Zusammenhalt zwischen den Elementen ausmachen. Gleichzeitig sind diese Verbindungen jedoch nicht neutral, sondern üben immer auch eine machtstrategische Funktion aus, indem über sie bestimmte (Wissens)Ordnungen hervorgebracht und gestützt werden (Bührmann und Schneider, 2008:52–53).
Eine explizite Methodologie zur Durchführung einer Dispositivanalyse gibt es nicht (Jäger, 2001:72). Foucault selbst hat in seinen Schriften Überlegungen zu einem Sicherheits- bzw. Sexualitätsdispositiv angestellt. Bührmann und Schneider (2008) geben in ihrem Buch „Vom Diskurs zum Dispositiv“ anhand zweier Beispiele (Geschlechterdispositiv, Sterbe-/Todesdispositiv) Hinweise zur methodischen Umsetzung einer Dispositivanalyse. Jedoch bleibt die Durchführung einer solchen Untersuchung mit der Einbeziehung des umfangreichen, unterschiedlichen und oft widerständigen Materials aus der empirischen Forschungspraxis eine beträchtliche Herausforderung.
Die Hauptfunktion eines Dispositivs sieht Foucault darin, „zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt […] auf einen Notstand (urgence) zu antworten. Das Dispositiv hat also eine vorwiegend strategische Funktion“ (Foucault, 1978:120). Ein solcher Notstand – wie etwa eine Dürre – ist jedoch nicht objektiv gegeben sondern wird diskursiv hergestellt. Der Ausgangspunkt einer Dispositivanalyse kann somit die Untersuchung der Herstellung von Problemlagen mit Hilfe einer Diskursanalyse darstellen. Zentrales Moment dabei ist, dass die soziale und materielle Welt in Diskursen nicht einfach nur reflektiert, sondern auf eine spezifische Art und Weise hergestellt wird (Foucault, 1973:74; Keller, 2008:63). Demnach kann anhand einer Diskursanalyse herausgearbeitet werden, was als Problem wahrgenommen und benannt wird, welche Lösungsstrategien sich daraus ergeben, welche Subjektpositionen zur Verfügung gestellt und welche Praktiken legitimiert werden.
Die strategische Funktion des Dispositivs besteht laut Foucault nun darin, über ein Set von Diskursen, Praktiken, Institutionen und Materialisierungen Antworten auf eine diskursiv hergestellte Problemlage zur Verfügung zu stellen. Zwar wird ein Dispositiv als Ensemble verstanden, dessen Elemente untrennbar miteinander in Verbindung stehen. Da das Dispositiv jedoch nicht als amorphe Einheit oder als untrennbares Hybrid, sondern als Netz zwischen verschiedenen Elementen benannt wird, können diese in ihrer Besonderheit beschrieben und gleichzeitig die Verbindungen zwischen ihnen untersucht werden. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Dimensionen eines Dispositivs können neben einer Diskusanalyse verschiedene ethnographische Methoden, die Analyse institutioneller Arrangements, die Beschreibung und Kartierung von Raumstrukturen etc. als Untersuchungsmethoden in die Analyse integriert werden. Insofern stellt eine Dispositivanalyse einen „triangulierenden Forschungsprozess“ (Bührmann und Schneider, 2008:92) dar.
Dimensionen einer Dispositivanalyse.
In Anlehnung an die Darstellungsweise von Andrea Bührmann und Werner Schneider (Bührmann und Schneider, 2008:94) werden in Abb. 1 die Elemente eines Dispositivs dargestellt. Auch wenn der Fokus einer Dispositivanalyse auf den unterschiedlichen Beziehungen und gegenseitigen Bedingungsverhältnissen liegt, sollen dadurch keine kausalen Ursachen-Wirkungszusammenhänge aufgespürt werden. Es geht eher um das „Spiel von Positionswechsel und Funktionsveränderungen“ (Foucault, 1978:120), das in seiner Vielfalt sicherlich nicht vollständig erfasst, jedoch zumindest in den Blick genommen werden kann. Das Dispositiv als formierendes Netz mit machtstrategischer Funktion zu begreifen bedeutet, die Machtwirkungen in den Beziehungen aufzuspüren (Bührmann und Schneider, 2008:52). In diesem Verständnis ist Macht nicht etwas, was besessen und einseitig ausgeübt werden kann, sondern etwas, das zwischen den Elementen wirkt, das kanalisiert, erschwert und ermöglicht, „was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher Beziehungen vollzieht“ (Foucault, 1983:115). Demzufolge ist die Analyse der gegenseitigen Wechselverhältnisse und ihrer Wirkungsweisen innerhalb eines Dispositivs immer auch eine Analyse von Machtverhältnissen. So ist danach zu fragen, wie bestimmte Diskursanordnungen dominant werden, wie diese über Institutionalisierungen auf Dauer gestellt werden, welche Subjektpositionen mit Sprech- und Handlungsmacht ausgestattet werden, wie sich Diskurse in den Raum einschreiben und materialisieren, welche Praktiken hervorgebracht werden und welche Rückwirkungen sich daraus wiederum für die Wissensordnung ergeben.
Foucault interessierte sich insbesondere auch für die Zusammenhänge zwischen materiellen Anordnungen und deren Auswirkungen auf die Handlungsweisen von Akteuren. In „Überwachen und Strafen“ geht er in Anlehnung an das Panoptikum von Jeremy Bentham auf die Gefängnisarchitektur ein, die ein bestimmtes Verhalten der Individuen konditioniert und Überwachungspraktiken in Praktiken der Selbstkontrolle verwandelt. Dabei wird die Machtwirkung nicht allein auf die Handlungen einzelner Personen zurückgeführt. Vielmehr wird angenommen, dass sie von der mit Bedeutung aufgeladenen Anordnung der Dinge ausgeht: „Das Prinzip der Macht liegt weniger in einer Person als vielmehr in einer konzertierten Anordnung von Körpern, Oberflächen, Lichtern und Blicken“ (Foucault, 1977:259). Gebaute Umwelt kann demnach immer auch als Vergegenständlichung von sozialen Beziehungen gelesen werden, über die Macht ausgeübt wird (Bührmann und Schneider, 2008:103; Wissen, 2011:105 f.).
Eine solche Machtwirkung, die aus dem Zusammenwirken der einzelnen Elemente des Dispositivs entsteht, kann als Agency beschrieben werden. Dabei wird weder davon ausgegangen, dass die Dinge an sich handeln, noch dass Diskurse bestimmte Praktiken determinieren. Jedoch können die Subjekte nicht länger als alleinige Urheber ihrer Handlungsweisen verstanden werden. Vielmehr geht die Handlung aus dem untrennbaren Zusammenspiel zwischen Diskursen, Subjekten und Dingen erst hervor. Bestimmte materielle Anordnungen üben dabei eine stärkere disziplinierende Wirkung auf die Handlungsweisen der Akteure aus als andere. Indem im Zusammenspiel der Materialität der Dinge mit institutionellen Vorgaben und dem Vorhandensein bestimmter Subjektpositionen einige Verhaltensweisen erleichtert, andere erschwert werden, werden Handlungen kanalisiert und geleitet. Somit lässt sich konstatieren, dass im Dispositiv Handlungsskripte eingeschrieben sind, die bestimmte Verhaltens- und Gebrauchsweisen zumindest wahrscheinlicher machen (vgl. Bührmann und Schneider, 2008:103).
In diesem Sinne bietet die Dispositivanalyse einen konzeptionellen Rahmen, um die unterschiedlichen Dimensionen gesellschaftlicher Naturverhältnisse ansprechen und in ihren wechselseitigen Bedingungsverhältnissen analysieren zu können. Doch gerade aufgrund der Komplexität der Verhältnisse und der Vielschichtigkeit der Wechselbeziehungen stellt die Durchführung einer solchen Analyse eine erhebliche Herausforderung für empirisch angelegte Arbeiten dar. Im Folgenden soll anhand des Phänomens der Dürre als Teil gesellschaftlicher Naturverhältnisse im Nordosten Brasiliens ausgelotet werden, inwieweit eine Dispositivanalyse dabei helfen kann, die Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen herauszuarbeiten und die darin eingeschriebenen Machtverhältnisse zu benennen. Der Schwerpunkt soll dabei vor allem auf dem Zusammenhang zwischen Diskursen und Materialisierungen liegen. Auf die weiteren Elemente des Dispositivs (Institutionalisierungen, Subjektivationen, Praktiken) kann innerhalb dieses Artikels nicht näher eingegangen, sondern lediglich auf einige Anknüpfungspunkte kurz verwiesen werden (ausführlicher: Schmitt, 2013).
Für die empirische Anwendung einer Dispositivanalyse wurden die Dürreverhältnisse im Nordosten Brasiliens, genauer in der Region Baixo Jaguaribe im Bundesstaat Ceará untersucht. Der Nordosten Brasiliens kann als besonders emblematisch für eine räumliche Einheit angesehen werden, die über spezifische gesellschaftliche Naturverhältnisse – insbesondere den Dürreverhältnissen – als abgrenzbare Region konstituiert wird (Schmitt, 2013:104 ff.). Niederschläge, bzw. das Ausbleiben von Niederschlägen werden dabei nicht allein als Grundlage für die Landwirtschaft und die Wasserversorgung der Bevölkerung oder als Standortfaktor für die Tourismusindustrie verhandelt. Vielmehr werden sie als integraler Bestandteil der Geschichte des Nordostens und des Selbst- und Fremdverständnisses der „Nordestinos“ verstanden. Sie spiegeln sich in der Vielzahl an Programmen, Institutionen und Organisationen der Dürrebekämpfung wider und sind aus den Diskursen über Fortschritt und Entwicklungsmodelle nicht wegzudenken. Insbesondere die als „Große Dürre“ bezeichnete Dürreperiode zwischen 1877–1879, der allein im Bundesstaat Ceará Schätzungen zufolge fast die Hälfte der Bevölkerung zum Opfer fiel (Taddei, 2005:113; Carvalho, 1988:195), wurde zu einem Kristallisationspunkt der Entstehung des Nordostens als „Armenhaus“ Brasiliens. Durch dieses Ereignis wurde die Dürre zur unhinterfragbaren Realität des Nordostens, wodurch sich die gesellschaftlichen Probleme in Probleme eines spezifischen Raumes verwandelten (Albuquerque, 1999:199; Bartelt, 2001:343).
Als konkrete Untersuchungsregion diente die Region Baixo Jaguaribe im Nordosten des Bundesstaates Ceará (s. Abb. 2), da hier seit den 1990er Jahren tiefgreifenden Veränderungen der gesellschaftlichen Naturverhältnisse in Bezug auf Wasser stattgefunden haben. Zum einen wurde in Ceará bereits 1992 ein Integriertes Wasserressourcen-Management (IWRM) gesetzlich verankert, wodurch dem Bundesstaat eine Vorreiterrolle in Sachen integrierter Ressourcenpolitik zukam. Zum anderen kam es speziell in der Region Baixo Jaguaribe zu einem großflächigen Ausbau der Wasserinfrastruktur und zu einer massiven Expansion der Flächen der Bewässerungslandwirtschaft und Shrimpszucht für den Export (IPECE, 2007b). Dies führte zu räumlichen und sozialen Umstrukturierungsprozessen, die mit einer Erhöhung der Konflikte um die Nutzung von und den Zugang zu Land und Wasser und mit einer verstärkten Mobilisierung von Widerstand einhergingen. Aufgrund dieser Entwicklungen wurde die Region von Elias und Sampaio (2002) auch als Beispielregion für eine exkludierende Modernisierung bezeichnet.
Werden die Niederschlagsverhältnisse der Region nun nicht als externe natürliche Bedingungen, sondern als Bestandteil eines (sozio-materiellen) Dispositivs verstanden, kann deren sozialer Konstruktionscharakter aufgezeigt werden, ohne jedoch die physisch-materiellen Bedingungen auszublenden oder in eine dualistische Deutungsweise zu verfallen. Dabei kann aufgezeigt werden, wie das Dürredispositiv sowohl über messbare, materielle Bedingungen, als auch über deren Interpretation und diskursive Verhandlung und den sich gegenseitig bedingenden Wechselwirkungen konstituiert wird. Das Dispositiv entfaltet sich, indem sich Diskurse über Dürre in institutionelle Arrangements einschreiben, sich in der gebauten Umwelt manifestieren, bestimmte Subjektpositionen hervorbringen und verschiedene Handlungsweisen ermöglichen oder erschweren. Dabei wird das Dispositiv über die Niederschlagsverhältnisse gestärkt und weiter verankert. Gleichzeitig können jedoch Ereignisse wie etwa Dürren oder Überschwemmungen auch dazu führen, dass die bestehende Diskursordnung in Frage gestellt wird und neu geordnet werden muss (Mattisek und Wiertz, 2014:158).
Ausgangspunkt der Analyse des Dürredispositivs in der Region Baixo Jaguaribe stellt eine Analyse des Dürrediskurses und der Konstitution der spezifischen Problemlage sowie den darin eingeschriebenen Lösungsansätzen dar. Darüber hinaus werden die verschiedenen Verknüpfungen mit den unterschiedlichen Elementen des Dispositivs angedeutet, um dann insbesondere auf die Materialisierung des Diskurses und die Diskursivität der materiellen Ordnung einzugehen. Im Anschluss daran soll der Frage nachgegangen werden, welche Effekte über das Dispositiv hervorgebracht werden und welche Widerstände und Verschiebungen sich dabei ergeben können.
Für die Freilegung von Wissensordnungen und die Benennung von Strukturen
und Regelhaftigkeiten des Dürrediskurses in Ceará wurde eine
Diskursanalyse vorgenommen. Ausgehend von der Annahme, dass (Massen)Medien
als „zentrale Arenen der gesellschaftlichen
Wirklichkeitskonstruktion“ (Keller, 2008:79) verstanden werden können,
über die bestimmte Themen bzw. Problemkomplexe gerahmt werden (ebd.),
wurden 340 Artikel der größten Tageszeitung in Ceará
(
Anhand der Analyse des Diskurses über die Dürre in Ceará wurde
in erster Linie deutlich, dass nach wie vor der physische Wassermangel als
zentrales Problem der Region verhandelt wird. Durch diese hegemoniale
Deutungsweise der Dürreverhältnisse wird die Erhöhung des
Wasserangebots durch den Ausbau der Wasserinfrastruktur (Staudämme,
Brunnen, Flussableitungen etc.) zur unmittelbar notwendigen
Lösungsstrategie erhoben. Dabei wird eine direkte Kausalbeziehung
zwischen den natürlichen Bedingungen (v.a. geringe Niederschläge)
und den gesellschaftlichen Verhältnissen (meist als Armut und
Rückständigkeit bezeichnet) hergestellt. Dies hat zur Folge, dass
jegliche Mechanismen der sozialen Vermittlung – wie etwa die Regelung des
Zugangs zu Wasser, Besitzverhältnisse, Machtverhältnisse,
historische Entwicklungen etc. – ausgeblendet und somit unsichtbar gemacht
werden. Über die Darstellungsweise der besonderen Dringlichkeit und des
riesigen Ausmaßes des Problems erscheinen Großprojekte, mit deren
Hilfe besonders viel Wasser gespeichert oder transportiert werden kann, als
unabdingbar. Mögliche dezentrale, kleinstrukturierte Projekte der
Wasserversorgung oder Ansätze einer Landwirtschaft im Einklang mit den
semi-ariden Bedingungen der Region (
Gleichzeitig ist der Dürrediskurs in einen globalen Diskurs um Knappheit, Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Wirtschaftlichkeit eingebettet. In Bezug auf den Umgang mit Wasser wird dabei vor allem auf die „Dublin-Prinzipien“ verwiesen, die 1992 auf der Konferenz über Wasser und Umwelt (ICWE) verabschiedet wurden und eine dominante Stellung innerhalb des globalen Wasserdiskurses einnehmen. In den Prinzipien wird Wasser als endliche Ressource mit ökonomischem Wert definiert, die über partizipative Management-Methoden verwaltet werden soll (ICWE, 1992:4). Aus dieser Logik wird eine gewinnmaximierende Inwertsetzung der knappen Ressource Wasser, insbesondere über den Ausbau einer exportorientierten Bewässerungslandwirtschaft, als angemessene und legitime Lösungsstrategie abgeleitet.
Der hier nur sehr skizzenhaft vorgestellte Dürrediskurs manifestiert sich auch in den übrigen Elementen des Dürredispositivs und wird über diese verfestigt. Dies ist jedoch nicht als einseitige Einwirkung auf Gesetze und Subjektpositionen oder als Determinierung von Praktiken zu verstehen. Vielmehr geht es um sich wechselseitig verstärkende Prozesse des Einschreibens und Rückwirkens, des Legitimierens und Bestätigens, des Ermöglichens und Verstärkens. So wurde beispielsweise in Ceará als zweitem Bundesstaat Brasiliens ein Integriertes Wasserressourcen Management gesetzlich festgeschrieben. Darin wurden Wassereinzugsgebiete, Wassertarife und Wasserkomitees als zentrale Instrumente der staatlichen Wasserpolitik institutionell verankert. Durch die Festlegung von Wassereinzugsgebieten als neue, administrative Einheiten kam es zu einer räumlichen Reorganisation des Wassermanagements und zu einer Reterritorialisierung von Entscheidungsstrukturen. Darüber hinaus wurden Wassertarife für nicht behandeltes Oberflächenwasser eingeführt, wodurch die in der Region betriebene wasserintensive Reisproduktion, die vor allem auf die lokalen Bedürfnisse ausgerichtet war, unrentabel wurde. Gleichzeitig breitete sich seit Ende der 1990er Jahre aufgrund hoher Gewinnmargen und zahlreicher Vergünstigungen in einigen Regionen eine exportorientierte Obstproduktion auf Bewässerungsbasis aus. Für die Umsetzung eines partizipativen Wasserressourcen-Management wurden regionale Wasserkomitees ins Leben gerufen, in denen in erster Linie über die Abflussmenge von Staudämmen abgestimmt wird. Auch wenn die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben, dass über diese Art der Beteiligungspolitik grundsätzliche Änderungen der Wasserpolitik und eine Neuregelung von Besitzverhältnissen und Zugangsrechten eher verhindert als möglich werden, so erhöhte die Einbettung der Wasserpolitik in einen Diskurs von Teilhabe und Mitbestimmung die Legitimation der staatlichen Politik in Ceará (Schmitt, 2016).
Durch die Einführung eines partizipativen Wassermanagements werden
Praktiken der Kooperation und des Ausgleiches gestärkt, während
radikale Gegenentwürfe zum vorherrschenden Entwicklungsmodell und
widerständiges Verhalten marginalisiert werden. Über den Diskurs des
Ressourcenmanagements werden die verschiedenen Akteure als sogenannte
Stakeholder angerufen, d.h. in erster Linie als Interessensvertreter
An den Infrastrukturen der Wasserversorgung und -speicherung lässt sich das Wechselverhältnis zwischen Diskursivität und Materialität besonders anschaulich nachvollziehen. Dabei kann sowohl danach gefragt werden, wie sich Diskurse und Machtverhältnisse in die Umwelt einschreiben, als auch, welche Wirkmacht Infrastruktureinrichtungen auf Wahrnehmungen, Diskurse und Praktiken ausüben und welche Eigenständigkeit von Materialität dadurch zum Vorschein kommt. Gerade in einer semi-ariden Region bildet die Wasserinfrastruktur eine zentrale Schnittstelle gesellschaftlicher Naturverhältnisse, über die die Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft organisiert und vermittelt werden. Sie kann sowohl als physisch-materielle Grundlage für die Aneignung und Transformation von Natur als auch als Resultat gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse und symbolischer Ausdruck von Kräfteverhältnissen gelesen werden (vgl. Swyngedouw, 2015; Bakker, 2003; Wissen, 2011:107). Über die Infrastruktursysteme werden insbesondere die Zugriffs- und Aneignungsmöglichkeiten von Wasser verändert. Mithilfe von Stauseen, Kanälen, Pumpen und Leitungen kann Wasser gezielt als Produktionsfaktor in der Bewässerungslandwirtschaft eingesetzt werden. Über Schleusen kann die Verteilung gesteuert und über Wasserzähler der Wasserverbrauch kontrolliert und die Verfügbarkeit monetär geregelt werden. Gemäß gesellschaftlicher Imaginationen und wissenschaftlich hergestelltem Wissen wird Wasser mit Hilfe von Infrastruktureinrichtungen in eine isolierte Einheit verwandelt, die wiederum transportiert, zentriert, gespeichert und genutzt werden kann; die evaporiert, versickert, versalzt und verschmutzt; die gemessen, bewertet und verkauft werden kann. Dadurch wird Wasser in eine Ressource und somit in kommodifizierte Natur verwandelt (Kaika, 2008:91).
Betrachtet man die Dürreverhältnisse als Dispositiv, dann
stellen die Wasserinfrastrukturprojekte keine isolierten Maßnahmen zur
Bekämpfung der Dürre dar, sondern können im Zusammenspiel mit
den weiteren Dimensionen als konstituierendes Element der
Dürreverhältnisse verstanden werden. Die Ausweitung der
Wasserspeicherkapazität als Lösungsstrategie materialisiert sich in
riesigen Staumauern und kilometerlangen Kanalwänden und schreibt sich
über diese in den Raum ein. Insbesondere im Nordosten des Bundesstaates
Ceará wurden in den letzten Jahren vermehrt Großprojekte der
Wasserinfrastruktur umgesetzt. Mit dem Bau des Castanhão mit einer
Speicherkapazität von 6,7 Mrd. m
Legitimiert wird der Bau solcher Großprojekte über die Niederschlagsverhältnisse, die als objektive und messbare Fakten die naturräumliche Benachteiligung der Region belegen sollen. Betrachtet man jedoch die durchschnittlichen Jahresniederschläge nicht auf bundesstaatlicher Ebene, sondern differenziert nach den einzelnen Wassereinzugsgebieten (Abb. 2), so wird deutlich, dass Dürre nicht als homogenes Phänomen, das den gesamten Bundesstaat gleich stark betrifft, dargestellt werden kann. Zieht man die – von staatlichen Behörden erhobene – Wasserbilanz hinzu, zeigt sich noch viel deutlicher, dass vor allem der Südwesten des Bundesstaates eine geringe Wasserverfügbarkeit aufweist, während im Nordosten eine vergleichsweise hohe Wassersicherheit verzeichnet werden kann.
Jahresdurchschnittsniederschläge (1974–2003) und Wasserbilanz ausgewählter Wassereinzugsgebiete in Ceará.
Allein an diesem Beispiel wird deutlich, dass keine direkten
Kausalzusammenhänge zwischen natürlichen Bedingungen, hegemonialem
Wissen und gesellschaftlichen Praktiken (Ausbau der Infrastruktur)
angenommen werden können. Vielmehr werden die materiellen Gegebenheiten
über Diskurse in Kausalzusammenhänge eingebettet, interpretiert und
vermittelt, wobei spezifische Machtverhältnisse zum Tragen kommen. Durch
die Herstellung des Nordosten Brasiliens als homogenen, von der Dürre
betroffenen Raum, können alle Wasserinfrastrukturprojekte der Region als
Maßnahmen der Dürrebekämpfung gerahmt werden. Verschnitten mit
den Diskurssträngen einer effizienten und gewinnbringenden Wassernutzung
führt der spezifische Ausbau der Wasserinfrastruktur zu einer gezielten
Inwertsetzung bestimmter Räume für die exportorientierte
Agrarindustrie. So soll über den einseitigen Ausbau der
Wasserinfrastruktur die exportorientierte Bewässerungslandwirtschaft und
Shrimpszucht in der Region Baixo Jaguaribe weiter ausgebaut, die
Wasserversorgung der Metropolitanregion Fortaleza (mit über 3,5 Mio. Einwohner
Der scheinbare Widerspruch zwischen dem Wassermangel im Südwesten und dem Ausbau der Wasserinfrastruktur im Nordosten des Bundesstaates kann somit nur über das dahinter liegende Entwicklungsmodell und die darin eingeschriebenen Machtverhältnisse erklärt werden. Der Ausbau der Wasserinfrastruktur in Ceará kann dabei nicht als unmittelbare Antwort auf die Niederschlagsverhältnisse begriffen werden. Vielmehr ist sie manifester Ausdruck einer hegemonialen Diskursordnung, in der politische und ökonomische Interessen und Machtverhältnisse verwoben sind. Das zur knappen Ressource erhobene Wasser wird insbesondere in denjenigen Regionen konzentriert, in denen es effektiv eingesetzt werden kann und hohe Gewinne in Aussicht stehen.
Über die spezifische Materialität der Wasserinfrastruktur und ihre territoriale Verbreitung schreiben sich folglich Machtverhältnisse in die Umwelt ein und werden auf Dauer gestellt. Ein solches Einschreiben von Diskursen und Machtverhältnissen in die gebaute Umwelt kann jedoch weder als Automatismus noch als linearer Prozess verstanden werden. Vielmehr ist der Prozess der Materialisierung geprägt von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und ständigen Aushandlungsprozessen. Wo welcher Staudamm mit welcher Größe und zu welchem Zweck gebaut wird, ist eine höchst umkämpfte Angelegenheit. Gerade Großprojekte wie der Bau des Staudamms Castanhão, für dessen Fertigstellung ca. 15 000 Menschen umgesiedelt wurden (Araújo, 2006:22) oder die Realisierung des Ableitungsprojektes des Rio São Francisco waren heftig umstrittene Projekte, gegen die sich starker gesellschaftlicher Widerstand regte. Mit der Fertigstellung solcher Megaprojekte sind diese Konflikte und Widerstände jedoch nicht länger sichtbar. Gerade durch ihre materielle Existenz erhalten sie ihre Stabilität und ihr überindividuelles Beharrungsvermögen. Sie werden zu einem Teil von Natur und folglich zu vermeintlich unhinterfragbaren Gegebenheiten und lassen sich nur unter erheblichem Aufwand wieder verändern (Bauriedl, 2008:308).
Gleichzeitig verwandelt sich durch die Infrastruktureinrichtungen die Wasserverfügbarkeit einzelner Orte. Während in manchen Regionen mehr Wasser zugeführt wird, sinkt an anderen Orten die Verfügbarkeit sowohl des Oberflächen- als auch des Grundwassers. Der soziale und politische Ursprung des materiellen Vorhandenseins bzw. Nichtvorhandenseins von Wasser – und somit von Dürreverhältnissen – ist jedoch nicht sichtbar. Über materielle Objektivierungen werden soziale Unterschiede und Machtverhältnisse in natürliche Unterschiede transformiert. Eine solche Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse führt zu einer Normalisierung von Ungleichheiten und letztendlich zu einer Verfestigung von Diskursordnungen und Kräfteverhältnissen: „Die räumliche Objektivierung sozialer Tatbestände verfestigt also nicht nur bestehende soziale Ungleichheiten, womit sie sich als Hemmschuh für sozialen Wandel erweist, sie trägt zusätzlich noch zur Verschleierung sozial hergestellter Realitäten bei, indem diese der ‚Natur der Dinge‘ zugeschrieben werden“ (Schroer, 2008:145).
Die kilometerlangen, betonierten Schneisen, die die großen Bewässerungskanäle in die Landschaft einziehen, und die riesigen Mauern großer Staudämme können geradezu als idealtypische Beispiele der Symbolkraft von Materialität angesehen werden. In ihnen kommen Vorstellungen von Fortschritt, Modernität, Staatlichkeit und der Beherrschung von Natur zum Ausdruck. Durch ihre materielle Existenz und Wirkmacht werden solche Vorstellungen (scheinbar) bestätigt. Wenn Jawaharal Nehru als Ministerpräsident Indiens Staudämme als die „Tempel der Moderne“ bezeichnet (Linton, 2008:640), dann werden diese zu einem konkreten Ort der (religiösen) Verehrung wirtschaftlicher Entwicklung und wissenschaftlichen Fortschrittes. Als ingenieurstechnische Meisterleistungen wurden Staudämme zu den wichtigsten Projekten des prometheischen Traumes der Eroberung und Kontrolle von Natur erhoben (Kaika, 2006:276). Gleichzeitig wurden sie zu zentralen Elementen der Formierung von modernen, industrialisierten Nationalstaaten, indem sie den Nationalstolz bedienten und zur Stärkung und Legitimierung von Führungspersonen und Politiken beitrugen (Molle, 2008:217; Alier, 2007:178). Genau darin ist auch der Grund zu suchen, warum der Stausee Castanhão sowohl von Präsident Fernando Henrique Cardoso, als auch von seinem Nachfolger Inácio Lula da Silva gleich zwei Mal feierlich eingeweiht wurde. Die Symbolkraft der Staumauer machte diese zu dem geeigneten Ort, um sich als einen Präsidenten zu inszenieren, der in der Lage ist, die Dürre im Nordosten zu überwinden.
Darüber hinaus kommt der gebauten Umwelt eine „starke
Verbindlichkeit für die Wahrnehmung und das Handeln“ (Klöppel,
2010:256) zu. Über ihre spezifische Materialität werden bestimmte
Denk-, Verhaltens- und Produktionsweisen hervorgebracht, andere wiederum
verdrängt. So sind beispielsweise die Kanäle des
Dabei ist die Hervorbringung von Handlungsmacht nur im Zusammenspiel mit den
übrigen Elementen des Dispositivs zu sehen. Die Etablierung eines IWRM
stellte den institutionellen und gesetzlichen Rahmen für die
Einführung einer modernisierten Bewässerungslandwirtschaft. Dadurch
wurden die Positionen von Manager
Ein solches Verständnis einer Hervorbringung von Handlungsweisen
über das Dürredispositiv darf jedoch nicht als deterministische
Vorgabe von Handlungsmöglichkeiten missverstanden werden.
Handlungsmöglichkeiten bleiben kontingent, wenn auch nicht beliebig.
Über eine Aneignung und Umdeutung der Wasserinfrastruktureinrichtungen
besteht immer die Möglichkeit, Nutzungsweisen zu verändern,
Widerstand zu leisten und Machtverhältnisse in Frage zu stellen. Trotz
der architektonischen Gestaltung der Kanäle, der Installation von
Überwachungskameras und einer institutionalisierten Nutzungsanweisung in
Form des gesetzlichen Verbotes der Wasserentnahme eignen sich die
Bewohner
Nichtvorgesehene Praktiken der Wasseraneignung.
Mit der Besetzung eines der wichtigsten Bewässerungskanäle auf der
Hochebene von Apodi (Ceará) durch die Landlosenbewegung MST im Mai 2014
wurde die Wasserinfrastruktur von einem Instrument der einseitigen Zuteilung
von Wasser und einem Medium der Reproduktion von Machtverhältnissen in
ein machtvolles Instrument des Widerstandes verwandelt (Abb. 4). Die
strategische Bedeutung des Kanals für die Bananenproduktion eines der
größten Bananenproduzenten Brasiliens (Banesa) erhöhte die
Verhandlungsposition der Vertreter
Bewässerungskanal als Ausgangspunkt von Widerstand.
Darüber hinaus fingen die Bewohner
Darüber hinaus spielt in dem gegenseitigen Wechselverhältnis zwischen der diskursiven Produktion von Dürre und ihrer materiellen Einschreibung auf der einen und der Machtwirkung von Materie auf Diskurse und Handlungsweisen auf der anderen Seite auch die Eigenständigkeit von Natur eine wichtige Rolle. Natur kann nicht beliebig diskursiv geformt und angeeignet werden. Ihre spezifischen Eigenschaften sind Grundbedingungen ihrer Wahrnehmung und Verwendungsweise, auch wenn sie nie vollständig erfasst werden können. Dadurch weisen sie Widerständigkeiten gegenüber einer kompletten Integration in die Diskursordnung auf und widersetzen sich einer totalen sozialen Aneignung und Kontrolle. Diese Widerstände schränken die Kontingenz der Wirklichkeitsproduktion ein, ohne sie jedoch in lineare Kausalitätsbeziehungen zu zwängen. Wasser kann nicht beliebig transportiert, gespeichert, gemischt oder in der Bewässerungslandwirtschaft eingesetzt werden. So ist für die Umleitung des Wassers des Rio São Francisco in die Bewässerungsgebiete von Ceará ein erheblicher Energieaufwand nötig, um über 300 m Höhenunterschied zu überwinden. Gleichzeitig kommt es in den Staubecken und Kanälen zu erheblichen Verdunstungsverlusten und zur Verschlechterung der Wasserqualität, insbesondere durch den massiven Eintrag von Agrarchemikalien. Der intensive Einsatz von Pestiziden und Fungiziden ist jedoch nötig, um die monokulturelle Anbauweise überhaupt zu ermöglichen. Der Verfall von Bewässerungskanälen durch Nicht-Benutzung, das Brechen von Staumauern und der Ausfall von Wasserpumpen führen genauso zu einem Scheitern von Bewässerungsprojekten, wie der Befall durch Schädlinge und Pilze, oder das Versalzen von Böden. Auch haben die vergangenen niederschlagsarmen Jahre im Nordosten Brasiliens die große Erzählung der Inwertsetzung des Nordostens als „Kalifornien Brasiliens“ (Untied, 2005:20) erneut in Frage gestellt. Wenn der Stausee Castanhão nur noch 8 % seiner Wasserspeicherkapazität aufweist, wenn die darin angelegten Vorzeigeprojekte der Fischzucht aufgrund der Wasserknappheit allesamt eingestellt werden müssen (Diário do Nordeste, 2016), dann kann der Staudamm nicht länger als Tempel der Moderne verehrt werden sondern wird eher als Wahrzeichen des gescheiterten Versuchs der Naturbeherrschung gelesen. Die spezifische Materialität von Natur ist letztlich eine Quelle von „unpredictability, unruliness and, in some cases, resistance to human intentions“ (Bakker und Bridge, 2006:18). Dabei kann ein Scheitern der hegemonialen Aneignungsstrategien aufgrund der Widerständigkeit von Natur und Materialität neue diskursive Ereignisse hervorbringen, die wiederum zu Verschiebungen innerhalb der Diskursordnung und letztlich auch innerhalb des Dispositivs führen.
Am Beispiel der Expansion der Bewässerungslandwirtschaft im Nordosten Brasiliens wird deutlich, dass eine Analyse von Diskursen allein nicht ausreichend erscheint, um die in den letzten Jahrzehnten hegemonial gewordene, spezifische Inwertsetzung von Natur angemessen zu erklären. Der monokulturelle Anbau für den Export im Kontext einer semi-ariden Region kann nicht nur mit Diskursen über Wassermangel und Ressourceneffizienz begründet werden. Vielmehr müssen die unterschiedlichen Ebenen und Dimensionen einer gesellschaftlichen Situation erörtert und in einen Gesamtzusammenhang eingebettet werden. Mit dem Konzept der Dispositivanalyse, das den Fokus der Untersuchungen explizit auf die Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Dimensionen gesellschaftlicher Naturverhältnisse legt, können die Vermittlungszusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und materiellen Bedingungen herausgearbeitet werden, ohne auf essentialisierende und dichotome Beschreibungen zurückgreifen zu müssen. Wie Dürren diskursiv gerahmt und bspw. über Besitzverhältnisse und Zugangsrechte zu Wasser gesellschaftlich vermittelt werden, ist dabei ebenso Gegenstand der Untersuchungen, wie die Frage danach, wie über materielle Bedingungen Machtverhältnisse (re)produziert werden.
Durch die Anerkennung der Eigenständigkeit der einzelnen Elemente des Dispositivs, bei gleichzeitigem Insistieren auf ihre unausweichliche Verbundenheit, können Diskurse, Institutionalisierungen, Subjektpositionen, Praktiken und Materialität sowohl in ihrer Eigenlogik untersucht als auch nach ihren gegenseitigen Wechselbeziehungen befragt werden. Erst durch die Berücksichtigung der institutionellen Verankerung der Diskurse über Gesetze, Organisationsformen und Finanzierungsmechanismen werden der grundlegende Charakter der Veränderungen und ihr potentielles Beharrungsvermögen offenbar.
Am Beispiel der Analyse der Wasserinfrastruktur in der Region Baixo Jaguaribe konnte gezeigt werden, wie sich Diskurse entlang von Machtstrukturen in die Umwelt einschreiben und manifest werden. Durch den spezifischen materiellen Charakter der Kanäle und Staudämme werden Wahrnehmungs- und Handlungsweisen vorstrukturiert und Diskursordnungen auf Dauer gestellt. Somit ist die Materialität der Wasserinfrastruktur nicht nur Ergebnis von Diskursen und sozialen Praktiken, sie stellt auch deren Basis und Ausgangsbedingung dar. Dabei gilt es, sich nicht in einer „Henne-oder-Ei“-Diskussion zu verlieren, sondern auf die permanente Gleichzeitigkeit des Vermittlungsverhältnisses zu verweisen.
Durch die Fokussierung auf die Wechselbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Elementen kann die gegenseitige Herstellung diskursiver und materieller Elemente und die Agency von Materialität herausgearbeitet werden. Über die gebaute Umwelt in Form von Staumauern, Schleusen und Kanälen kann Wasser auf eine spezifische Art und Weise gespeichert, transportiert und verteilt werden. Nur dadurch wird eine bestimmte Zuteilung, Nutzung und Kontrolle von Wasser überhaupt möglich. Dabei geht es jedoch nicht darum, die Stauseen und Kanäle als eine Art neue, intentional handelnde Akteure zu bestimmen, die den Wasserzugang selbstbestimmt regeln. Vielmehr werden erst im Zusammenspiel zwischen Diskursen, Institutionalisierungen, Subjektpositionen, Praktiken und Materialität bestimmte Aneignungsweisen von Natur hervorgebracht und hegemonial.
Der Verweis auf die Eigenlogik der einzelnen Elemente innerhalb des Dispositivs bedeutet gleichzeitig auch, die Eigenständigkeit von Materialität ernst zu nehmen und das Verständnis von Materie als passives Rohmaterial zu überwinden. Materialität kann demnach nicht beliebig diskursiv hergestellt werden und entzieht sich somit gleichzeitig einer völligen Beherrschbarkeit. Die Nicht-Identität von Natur ist insbesondere dann bestimmbar, wenn diskursive Einschreibungen, institutionelle Vorstrukturierungen oder vorgesehene Aneignungsweisen scheitern oder zu unvorhergesehen Ergebnissen führen. Somit kann es auch aufgrund der Eigenlogik der Materialität zu Veränderungen des Dispositivs kommen. Dadurch verschieben sich bestehende Konstellationen und hegemoniale Verfestigungen können aufgebrochen werden. Zusammenfassend stellt das Konzept einer an Foucault angelehnten Dispositivanalyse eine Möglichkeit dar, die Wechselverhältnisse zwischen Diskursivität und Materialität analytisch zu rahmen. Gerade da innerhalb einer Dispositivanalyse die Beziehungen zwischen sozialen Verhältnissen und materiellen Gegebenheiten explizit auf ihre Machtwirkungen hin befragt werden, bietet das Konzept die Möglichkeit, „die materiellen Facetten eines poststrukturalistischen Machtkonzepts hervorzuheben und den Zwischenraum symbolischer und materieller Ordnungen zum Schauplatz geographischer Forschung zu machen“ (Mattissek und Wiertz, 2014:158). Darüber hinaus stellt ein solcher Ansatz insbesondere für empirisch angelegte Arbeiten innerhalb der Geographie die Möglichkeit dar, diskursanalytische Untersuchungen mit ethnographischen Methoden konzeptionell zu verbinden, um dadurch die Komplexität gesellschaftlicher Naturverhältnisse besser in den Blick nehmen zu können.
In dem Artikel beziehe ich mich vor allem auf Interviews und Erhebungen, die ich im Rahmen meiner Dissertation durchgeführt habe und die nicht öffentlich zugänglich sind. Eine ausführliche Besprechung und Auswertung der Daten findet sich in Schmitt (2013).
Bedanken möchte ich mich vor allem bei Sören Becker für die vielen Anmerkungen und produktiven Kommentare und bei den beiden unbekannten Gutachter*innen, die wesentlich zur Schärfung der Argumente und zum Entstehen des Artikels in seiner jetzigen Form beigetragen haben. Edited by: S. Becker Reviewed by: two anonymous referees